R.I.P. – liebes Büro

Liebe Bürohengste und Schreibtischtäter, liebe Kaufleute und Manager, liebe Trauergemeinde

 

Du hast mehr als hundert Jahre geprägt. Ich erinnere mich noch gut, ich war noch sehr jung – da lernte ich dich kennen. So glanzvoll wie Du da vor mir standest. So ordentlich bis ins letzte Detail und so aufgeräumt. Nichts konnte dich verwüsten – Du warst ein, nein, Du warst mein Fels in der Brandung. Du hast mich beschützt und warst immer für mich da. Du hattest wenig Erwartungen, nur das man dich einfach respektiert. Bei Dunkelheit hast Du mir Licht gespendet, bei Kälte gabst Du mir Wärme und bei Hitze, na ja, Du konntest nun mal nicht alles. Eine große Last hast Du immer getragen.

Wir erinnern uns alle an glückliche Stunden mit dir in unserer Mitte. Einfach an das kleine Gespräch, mit einer Tasse Kaffee in der Hand. An die lustigen Erlebnisse, an Feste und Feierlichkeiten mit dir, an Freude und Ausgelassenheit; doch da sind auch Erinnerungen an Krankheit, an traurige Erlebnisse und viele Überstunden.

 

„Wenn ihr mich sucht, sucht in euren Herzen. Habe ich dort eine Bleibe gefunden, lebe ich in euch weiter.“

Rainer Maria Rilke

 

Du hast gekämpft – Du warst immer ein Kämpfer. Nun hast Du diesen Kampf verloren. Wir werden dich alle vermissen.

 

Adieu, liebes Büro!

Deine Kindheit

Im Kloster hast Du deine erste Heimat gefunden und so kann man mit Fug und Recht sagen, dass die Mönche deine Väter waren. Du warst eine Stütze für deren Schreibarbeit. Doch Du wolltest mehr. Du wolltest die Welt erobern. Anwälte, Notare, Staatsmänner und Kaufleute entdeckten schnell deine Fähigkeiten und holten Dich. Aber es war dir alles zu unprofessionell. Du warst wie versteckt, schier unsichtbar für die Menschen. Meist versteckt in den Privathäusern, eben dieser Männer. Wir alle wissen, dass hat dir nicht gefallen.

Doch die zunehmende Industrialisierung bescherte dir im 19. Jahrhundert einen Aufschwung. Wie Phoenix aus der Asche kamst Du hervor. Die Privathäuser waren dir zu klein geworden. Viel zu eng und Du konntest dich nicht entfalten. Aber Du warst ein Macher. Du legtest dir ein neues Image zu und zogst aus. Die große Welt der Bürokomplexe sollte deine sein. Du warst der erste den man morgens sah und alle die zu dir kamen, zogen nur ihre beste Kleidung an. Sie betraten dich mit weißem Kragen, blieben Stunden und verließen dich abends mit sauberen Händen.

Oh ja, Du warst ein Geheimnisträger. Du hast alles für dich behalten und seien die Geschichten noch so brisant, so politisch, so aufregend gewesen. Auf dich war immer Verlass.

Deine Auf und Ab’s

Den technischen Fortschritt hast Du mitbekommen wie kein anderer. Zu Frauen hast Du eine besondere Beziehung gehabt. Um die 1930er Jahre stürmten viele Frau die Büros. Die Schreibmaschine kam hinzu. Bewundert hörtest Du das Tippen der Maschine. Es war wie ein Klavierspiel der Gefühle. Ihr wurdet Eins!

Aber Du hattest auch schwere Zeiten. Es war wohl eine glanzlose Phase, als sich immer mehr die Effizienz durchsetzte. Frederick Winslow Taylor nahm dir den Glanz. Mit seinen Prinzipien der Rationalisierung und Effizienz, warst Du nur noch ein Gebrauchsgegenstand. Es war auf einmal wie Fließbandarbeit. Alles schematisiert und kleinteilig. Entsprechend glichst Du immer mehr einer Fabrikhalle, kaum Luft zum Atmen. Dicht an Dicht standest Du mit all den Tischen. Es gab keine Möglichkeit mehr für den >>Plausch zwischendurch<<. Alles was den Anschein hatte produktivitätsmindernd zu sein war verboten. Da warst Du kaum 50 Jahre alt, aber der Glanz deiner Jugend war verloren.

Endlich am Ziel oder eben doch nicht

Aber Du hast weitergekämpft. Den Krieg überwunden, hast Du dich wieder in den Vordergrund gestellt. Der Dienstleistungssektor wuchs rasant und sie brauchten dich – alle brauchten dich.

Jetzt bekamst Du die Würdigung, auf die Du so lange gewartet hast. Ganze Bürolandschaften hat man geschaffen. Ja, mit Lebensqualität sogar. Du standest jetzt in keiner Halle mehr, nein, Du standest jetzt wieder auf wohligen Teppichen, umgeben von einem Meer aus Blumen und Grünpflanzen. Man sprach von dir in den höchsten Tönen. Du sollst das Verhalten und die Disziplin verbessert haben. Alles verbesserte sich bei den Mitarbeitern, von der Kleidung bis zur Anwesenheit. Man hat ganze Bücher über dich geschrieben. Ja, Du hattest es geschafft.

Das bisschen neue Technik und Computer hast Du lachend hingenommen. Ohne zu wissen, was es dir anrichten kann. Auf die vielen Vernetzungsmöglichkeiten warst Du nicht vorbereitet. Menschen blieben immer öfter weg und kamen nur ab und zu. Schlussendlich aber hat dir eine Pandemie den Rest gegeben. Heerscharen von Menschen verließen dich, ohne Auf Wiedersehen zu sagen. Ein Umdenken in der Krise. Plötzlich war klar, sie brauchen dich nicht mehr.

Sie verbringen jetzt die Zeit zu Hause, sie arbeiten sogar von zu Hause. Ach, wie lächerlich. Wir wissen doch genau, dass das Zuhause dir nicht das Wasser reichen kann. Du warst ordentlich und sauber. Du hattest eine klare Aufteilung und Struktur. Nirgends ist man bei dir über Steckdosen oder Kabel gestolpert.

Nun schwebst Du hinauf, mein treuer Gefährte. Himmelwärts Richtung Cloud, One Drive, Google Drive & Co. entgegen.

Wir alle werden dich vermissen, spätestens dann, wenn wir zum x-ten Mal über ein Kabel gestolpert sind. Ruhe in Frieden.

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